Jetzt spenden!

Im Scheinwerferlicht der Exzellenz sieht man die Anderen schlecht

von Constanze Wimmer

Wer ist schon gerne Mittelmaß? Dann doch lieber exzellente Solistin, Konzerthausintendantin oder Orchestermusikerin. Ein bisschen Narzissmus steckt in jeder und jedem von uns, wir wollen einzigartig, besonders und herausragend sein, nur bitte nicht mittelmäßig. Exzellenz hilft uns, einen Begriff dafür zu finden. Exzellenz hilft aber auch ungemein, den Markt zu bewirtschaften: Wissenschaftliche Exzellenzcluster verdrängen
Forscher:innen und Wissenschaftssparten, die da nicht mithalten
können, künstlerische Exzellenz-Wettbewerbe schicken alle „leider nein“ Kandidat:innen sang- und klanglos nach Hause, übrig bleiben ausschließlich diejenigen, die die ersten Plätze gewinnen. Im Konzerthaus stehen sie dann als Solist:in auf der Bühne oder sitzen im Orchester – unten das Publikum, begierig nach den Besten der Besten, den Einzigartigen, nach denen, die
der Markt ganz nach oben gebracht hat.

Genau da strebt Exzellenz hin, dorthin, wo die Luft dünn wird, wo nicht mehr jede:r mitkann. Exzellenz ist etwas für Eliten, für einen kleinen Ausschnitt. Passt dieses Streben noch in unsere Zeit? Wollten wir nicht die Musik, so wie sie uns seit Jahrhunderten überliefert ist, mit allen teilen? Wollten wir nicht Wege finden, wie unterschiedliche Kulturen Gehör finden können und einander inspirieren? Wollten wir nicht Strategien entwickeln, um den elitären Klassiksektor zu demokratisieren? „Anything in need of democratisation is, by definition, undemocratic“, konstatiert der britische Kulturpolitikforscher Steven Hadley kurz und bündig und legt damit den Finger in die Wunde aller Programme zu Musikvermittlung. Wir verraten uns ohnehin in der Formulierung unserer Angebote: Entlarvend ist der Anspruch der Niederschwelligkeit, zeigt er doch, dass wir unser Publikum genau nicht auf Augenhöhe mit uns sehen. Begeben sich also musikvermittelnde Formate gnädig auf ein niedrigeres Level? Das mag polemisch klingen, aber auch Musikvermittler:innen sind nicht davor gefeit, sich und ihre Arbeit einseitig am künstlerischen Exzellenzprinzip zu messen.

Im Druckkochtopf der Covid-Krise erhitzt, laufen mittlerweile mehrere Entwicklungen parallel: Fernab von Nachhaltigkeitsdebatten touren die großen Orchester weiterhin durch die Welt und programmieren wie in den letzten 70 Jahren. Die etablierten Konzerthäuser Europas verstärken zwar ihre Bemühungen zum Audience Development und verbreitern ihr Angebot mit Hilfe der Musikvermittlung über die Ränder der Klassik und Neuen Musik hinaus, aber im Kerngeschäft bleibt alles beim Alten. Daneben feiern Festivals und junge Veranstalter inszenierte Konzertformate sowie digitale und analoge Kommunikationsformen mit dem Publikum in nie gekanntem Ausmaß. Immersive Konzerte heben die Trennung zwischen Ausführenden und Publikum auf und Zuhörende werden zu Mitwirkenden.

Freie Ensembles verweigern sich den alten hierarchischen Strukturen und geben der Selbstverwaltung einen frischen Anstrich. Kooperationen zwischen Stadtteilzentren und Konzerthäusern erleben durch Community-Music-Projekte neue Qualitäten in der künstlerischen Begegnung und eine diskriminierungskritische Kulturpolitik baut neue Projektbüros für Diversität und urbanen Dialog.

Als Hochschulmanagerin einer großen Kunstuniversität in Österreich nehme ich in unserem Haus diese Mehrgleisigkeit der Entwicklung ebenso wahr wie im Kulturbetrieb. Im Kern unserer Ausbildung stehen nach wie vor die handwerkliche Exzellenz, das Meisterklassenprinzip und ein Kanon an Werken, der bereits seit Jahrhunderten Gültigkeit hat. Und gleichzeitig diversifiziert sich unser Angebot an Lehre in die vielfältigsten Bereiche: Improvisation, Jazz, künstlerische Forschung, Ethnomusikologie, Filmmusik, Volksmusik, zeitgenössisches Musiktheater, Sound Art, Computermusik, Kulturmanagement, u.v.m. Einmal an unserer Hochschule zugelassen, stehen unseren Studierenden wesentlich mehr Möglichkeiten der Horizonterweiterung zur Verfügung als sie angesichts der neuen Unübersichtlichkeit überhaupt erkennen können. Jede dieser interdisziplinären Grenzüberschreitungen rüttelt an ihren verinnerlichten Exzellenzkriterien, weil ganz neue ins Spiel kommen, die den eigenen vielleicht widersprechen oder nicht genügen.


Diese neue Unübersichtlichkeit erstreckt sich aber nicht nur auf die künstlerischen Inhalte, sondern auch auf die Art und Weise, wie sie erworben werden. Gerade geht ein europäisches Projekt in sein Finale, das Power Relations in Higher Music Education (PRiHME) als Aufbruch in Richtung Ermächtigung, Gender Balance und Diversität verstehen möchte. Als Civic-Democracy-Projekt kamen über zwei Jahre Lehrende, Studierende und administratives Personal aus neun europäischen Musikhochschulen zusammen, um neue Standards des Miteinanders in einem stark hierarchisch geprägten System zu entwickeln. Wenig überraschend war es der schwierigste Moment im gesamten Projekt, als alle gerade frisch entwickelten Empfehlungen zu Power Relations zum Schluss auf das Streben nach künstlerischer Exzellenz angewendet werden sollten.

Die Diskussion entzündete sich an den Situationen, wo Exzellenz bewertet wird – den Zulassungs- und Abschlussprüfungen: Wer setzt die Standards, wie transparent sind die Kriterien der Benotung, welche nicht-künstlerischen Aspekte wie Freund- und Feindschaften innerhalb der Prüfungskommission spielen eine Rolle? Welches Mitspracherecht haben Studierende? Wie kann die subjektive Meinung der Professor:innen zu Exzellenz in objektive Qualitätsstandards übersetzt werden?

Und wie im Kulturbetrieb wurden Machtstrukturen gespiegelt,
die genauso zwischen Intendanz und Vermittlungsabteilung
oder zwischen Konzertmeisterin und Tuttigeiger wirksam sind. Die hierarchischen Rollen werden früh eingeübt, nicht zuletzt, weil eine Musikkarriere ihre Weichenstellung bereits in der Kindheit erfährt und von dort aus durch Wettbewerbe und
Auswahlspiele vorgezeichnet ist. Wenn dem Streben nach Exzellenz ursprünglich Leidenschaft für Musik zugrunde liegt, und sich daraus Disziplin und Energie für beständiges Üben und Lernen ableitet, zeigt dieses Streben auch gleichzeitig den Abgrund, den Exzellenz mittransportiert, weil all dieses Tun und diese Haltung seit der Kindheit engstens mit dem Wert als Person verknüpft ist. Und hier schließt sich der Kreis: Wer ist schon gerne mittelmäßig?

Als Musikvermittlerin suche ich nach Wegen, junge Studierende
möglichst früh in Kontakt mit dem Publikum zu bringen. Wir überlegen dramaturgische Linien, um künstlerische Werke in intensive Präsenzerfahrungen einzubetten und suchen nach dem Konzert mit dem Publikum gemeinsam nach Worten für das Erlebte. Dabei sind so viele Facetten von Qualität notwendig: Sprachfähigkeit, Erfindungsgeist, Teamfähigkeit und natürlich ausgezeichnetes musikalisches und musikvermittelndes Handwerk. Schon in der Erarbeitungsphase dieser Projekte findet ein Perspektivenwechsel statt – das Werk wird vom unhinterfragbaren Geniestreich eine:r Komponist:in zum Dreh- und Angelpunkt für die Selbstbefragung als Künstler:in, für den Bedeutungsgehalt im Spiel für und mit Publikum und für den magischen Moment des Teilens einer ästhetischen Erfahrung zwischen Interpret:innen und Zuhörer:innen. Vielleicht tritt dabei das ewige Ringen nach musikalischer Exzellenz ein wenig in den Bühnen-Hintergrund. Von dort aus kann sie wesentlich intensiver hin zum Publikum leuchten, ohne im Scheinwerferlicht
zu (ver-)blenden.

Constanze Wimmer ist Professorin für Musikvermittlung an der
Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz. Sie studierte Musikwissenschaft, Publizistik und Kulturmanagement und promovierte in Musikpädagogik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Sie arbeitete im Konzertwesen und in der Kulturellen Bildung in den Bereichen Musikvermittlung und Audience Engagement. Sie ist Gründungsmitglied der Plattform Musikvermittlung Österreich und des Forum Musikvermittlung an Hochschulen und Universitäten. Gemeinsam mit Johannes Voit gibt sie die Publikationsreihe Forum Musikvermittlung – Perspektiven aus Forschung und Praxis heraus. Im Frühjahr 2020 übernahm sie die Funktion der Vizerektorin für Lehre und Internationales an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz.

Der Artikel erschien im NJO-Magazin Best of #10 „Exzellenz!“. Abrufbar unter Best of #10

Meldungen