Bevor ich auf die Diskussion eingehe, möchte ich zunächst einen wichtigen Punkt anmerken: Ein großer Teil unserer Musikhochschulen – einzeln oder im Verbund – widmet sich mit Überzeugung Fragen zu neuen Konzertformaten, neuen Publika, dem Gesellschaftsbezug und der Demokratisierung von Musik.
In dieser Diskussion begegnen wir Fragestellungen, die in den unterschiedlichen Funktionen und Positionen im aktuellen Kulturleben stets präsent sind. Das Gespräch dreht sich weitgehend um den Zweck der Kultur sowie die Bedarfe der Gesellschaft. Dem Förderanspruch wird also ein Wirkungsanspruch gegenübergestellt, womit das utilitaristische Element erkennbar wird. Die gesamte Diskussion kreist um die weitgehend öffentliche Förderung von Kultur und deren Legitimierung. Das zentrale Argument besagt, dass eine durch alle finanzierte Kultur auch allen zu dienen und die Teilhabe aller zu gewährleisten habe. Bei aller Richtigkeit dieser Argumente müssen wir uns bewusst sein, dass wir mit diesem Ansatz die Demokratisierung als vorherrschenden Leitstern festschreiben und somit Kulturförderung in die Nähe kulturkämpferischer Argumente rücken. Hinzu kommt, dass gerade das wichtige inklusive und integrative Argument dann zu hinken beginnt, wenn man bestimmte Bereiche des Kulturschaffens von der öffentlichen Förderung ausschliesst und sich darauf zurückzieht, dass das Schaffen an sich ja dadurch nicht verboten werde. So geraten wir ganz schnell, oft unabsichtlich, in ein Wechselspiel von Privilegien und Protektion.
Zu vergegenwärtigen sind auch weitere Aspekte, nämlich die weit verbreitete und auch von mir geteilte Ansicht, dass die Wirkung von Kultur nicht immer zeitsynchron mit der jeweiligen Schaffensperiode eintritt. In Zeiten knapper Mittel kann die Bindung an Zweck und Wirksamkeit dazu führen, dass wir als Kultur- und Bildungsmanager:innen, oder in welcher Funktion auch immer, zu glauben beginnen, Kulturgeschichte schreiben zu können – am Ende machen wir aber Kulturpolitik. Hierbei befinden wir uns im altbekannten Spannungsfeld zwischen der reinen Beschreibung der Wirkung von Kultur und dem präskriptiven Eingreifen in das kulturelle (Er-)Schaffen als solches.
Die Rolle der Entscheider:innen hat also auch heute keineswegs an Macht verloren und gerade hier braucht es meines Erachtens ein besonderes Bewusstsein. Die wohlgemerkt systemimmanenten Herausforderungen lauern sowohl da, wo Rollen vermischt werden, als auch da, wo sie besonders hermetisch voneinander getrennt werden, wie z.B. die angesprochene Trennung der Berufe von Praxis und Vermittlung, von Produktion und Förderung oder dem schmalen Grat zwischen Kultur und Bildung. Es gilt also – und auch das wird teilweise schön in der Diskussion herausgearbeitet – sich dieser Spannungsfelder bewusst zu sein und mit höchster Sorgfalt damit in abstracto und vor allem in concreto auseinanderzusetzen. Besonders wichtig ist es, sich zu fragen, wo wir gerade stehen und wie unser Denken und Handeln die dargestellten Spannungsfelder aufnimmt oder gar beeinflussen will. Mögen diese Diskussionen möglichst lange weitergehen und nicht in einem homogenisierten Konsens versanden. Wir Hochschulen versuchen unsere Absolventinnen und Absolventen darauf vorzubereiten.
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Prof. Rico Gubler trat am 1. Februar 2023 sein Amt als Fachbereichsleiter Musik an der Hochschule der Künste Bern an. Der gelernte Jurist, Saxophonist und Komponist studierte zunächst klassisches Saxophon bei Iwan Roth in Basel, bei Marcus Weiss in Zürich und bei Jean-Michel Goury in Paris. Während seines Musikstudiums spezialisierte er sich auf zeitgenössische Musik, freie Improvisation und Live-Elektronische-Aufführungen. Neben seinem musikalischen Schaffen absolvierte Rico Gubler ein Jurastudium in Zürich. Von 2004 bis 2014 unterrichtete er Saxophon und Kammermusik an der Musikhochschule Lugano, von 2010 bis 2014 war er Studiengangsleiter und Mitglied der Leitung der Hochschule für Musik in Basel und von 2014 bis 2023 Präsident der Musikhochschule Lübeck.