Akteur:innen in der Kultur sind meist zutiefst von der Wirkung ihrer Arbeit überzeugt, denn sie erleben sie unmittelbar. Fördergeber hingegen haben in aller Regel zwar eine Idee der von ihnen intendierten Wirkungen, erleben die Projektarbeit aber immer nur mittelbar. Deswegen sind Projektförderungen an Wirkungsziele und den Nachweis der erreichten Ergebnisse gebunden und somit produktorientiert. Im Ergebnis führt dies dazu, dass das, was wirklich im Prozess passiert, nicht offen kommuniziert wird. Das hat einerseits damit zu tun, dass die an das Projekt gestellten Erwartungen von Akteur:innen und Fördergebern nicht zwingend übereinstimmen. Andererseits damit, dass Projektförderung mit ihren Prüfkriterien einen Referenzrahmen aufstellt, der mit der Projektrealität kaum etwas zu tun hat. Denn Fehler und konstruktives Lernen passen nicht in die nötigen Erfolgsstorys. Im Wissen, dass Scheitern keine Option ist, wenn von der Projektförderung das Überleben von Akteur:innen und Institutionen abhängt, wird die ehrliche Reflektion ins Private verlagert.
Die Tatsache, dass im Diskurs kein Raum für eine konstruktive Fehlerkultur ist, und nicht öffentlich, ernsthaft, transparent, kritisch und konstruktiv reflektiert wird, ist eine verpasste Chance: Jancovich und Stevenson (2023) sehen darin einen Grund, warum die Versuche, kulturelle Partizipation zu erhöhen, immer noch nicht funktionieren. Denn das Erfüllen von Erwartungen sorgt dafür, dass das bestehende System erhalten bleibt: Klassistische gesellschaftliche Strukturen werden reproduziert und nur bestimmte Milieus bleiben im Spiel. Dabei könnte es ich lohnen, aktuelle Beiträge der Wirkungsforschung (z.B. Bartleet 2023) heranzuziehen. In meinem Zwischenruf zum Round Table möchte ich die Frage nach Wirkung auf einen spezifischen Bereich fokussieren, nämlich auf erforderdie gesellschaftliche Rolle von kulturellen Projekten in einer Demokratie (de Bánffy-Hall et al. 2022) am Beispiel der Community Music.
Musikmachen war schon immer ein Teil menschlicher Existenz und stand im Zentrum menschlicher Gemeinschaften. Musik war Teil von Ritualen, Festen und im Alltag. Die Ausprägung des klassischen Musiklebens westlicher Prägung hat das Musizieren in Gemeinschaft vom Zentrum an den Rand verlagert, was sich in institutionellen Strukturen, Lehr- und Spielplänen und der Verteilung von Ressourcen manifestiert. Als Theorie und Praxisfeld beschäftigt sich Community Music vornehmlich mit den Rändern: mit Menschen und musikalischen Praxen, denen gesellschaftlich oft zu wenig Platz eingeräumt wird.
By using the words ‘from the margins’ we also hope to disrupt the pervasive mythology around arts and education that locates knowledge and culture solely within the hallowed halls of the university, concert hall and museum, church and library
de Quadros & Amrein 2022
Ich finde die Sichtweise vom Zentrum und Rand sehr nützlich, um auf unsere deutsche Kulturlandschaft zu schauen: Welche Institutionen und wessen Musiken stehen im Zentrum? Wer hat die Entscheidungsmacht und Zugang zu den verfügbaren Ressourcen? Wer sind die Gatekeeper? Was sind vorherrschende Vorstellungen davon, was und für wen Kunst ist? Und: Welche Rolle sollen unsere kulturellen Institutionen in der Gesellschaft spielen? Welche Wirkung wünscht sich wer? Wirkung auf wen und von was? Wer entscheidet welche Wirkung für wen wünschenswert ist?
Ich möchte zur Beantwortung der obigen Fragen die Unterscheidung von kultureller Demokratie und der Demokratisierung von Kultur heranziehen. Die Demokratisierung von Kultur hat das Ziel, mehr Zugang zu Kultur zu schaffen, damit mehr Menschen an Kulturangeboten teilhaben können. Dieser Ansatz prägt viele Vermittlungsprogramme, die Zugänge zu einem spezifischen kulturellen Kanon sicherzustellen suchen. Dies findet in der Regel im Umfeld von Institutionen statt, die „ihre“ (meist schon bestehende, professionelle oder im Vorfeld festgelegte) Musik vermitteln wollen, u.a. mit dem Ziel der Legitimation der Institution sowie der Bewahrung des Vermittlungsgegenstandes durch Erhaltung und Erweiterung des Publikums.
Die Idee der kulturellen Demokratie zielt hingegen auf mehr Repräsentation, die Umverteilung von Entscheidungsmacht (z.B. Mitspracherecht bei Entscheidungen über Programminhalte und Strategien) und Ressourcen (z.B. Geld und Räume). Dem liegt die Annahme zugrunde, dass alle Menschen Kultur haben und sie ihnen nicht gegeben werden muss, und daraus folgt eine Wertschätzung aller musikalischen Ausdrucksformen. Die Überzeugung, dass jeder Mensch das Recht hat, sich kreativ auszudrücken und zu betätigen und am kulturellen Leben teilzunehmen, ist in Artikel 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergeschrieben. Die Idee der kulturellen Demokratie bedeutet für Projekte, dass sie von den Bedarfen, den Interessen und dem Lebenskontext der Menschen ausgehen und gemeinsam mit Teilnehmenden als Ko-Kreateur:innen konzipiert werden. Die Grundannahmen der kulturellen Demokratie bedeuten in ihrer Umsetzung eine radikale Veränderung und Transformation von Kulturinstitutionen. Sie haben somit Konsequenzen für Inhalte, Ziele und Prozesse, die Verteilung von Ressourcen, Entscheidungs- und Deutungsmacht sowie den Exzellenzbegriff und nicht zuletzt die Idee von Musik an sich.
Nach Birgit Mandel (2019) haben traditionelle Ansätze des Audience Development (mit dem Ziel nach mehr Zugang zu Kultur, also der Demokratisierung von Kultur) bisher nicht zu nachhaltigen Veränderungen der sozialen Struktur des Publikums geführt. Aus meiner Erfahrung im Feld der Community Music und mit Blick auf die Forschung in diesem Bereich, ist es erforderlich, Öffnungsprozesse nicht länger aus einer Richtung – nämlich der hegemonialen Kultur mit ihrem Erbe und ihren Traditionen – anzustrengen. Sondern im Sinne einer kulturellen Demokratie neue Wege zu beschreiten, die andere und vielfältige Stimmen hörbar machen, Inhalte und Ziele und damit einhergehend die Verteilung von Ressourcen neu zu verhandeln. Ein solcher Transformationsprozess erfordert eine konstruktive Fehlerkultur und forschungsbasierte Wege, um die Wirkungen – auch die negativen – unserer Arbeit genauer zu betrachten. Ich bin aber überzeugt, dass dies der einzige Weg ist, um die Musik (wieder) ins Zentrum der Gemeinschaft zu rücken und zu einer bedeutsamen Ressource für gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Leben jedes einzelnen Menschen zu machen.
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Prof. Dr. Alicia de Bánffy-Hall studierte Performing Arts/Community Music am Liverpool Institute for Performing Arts sowie Arts and Cultural Management an der Manchester Metropolitan University. Sie promovierte an der Hochschule für Musik und Theater München und erhielt für ihre Dissertation den Kulturpreis Bayern. Von 2004 bis 2012 leitete sie die Community Arts Company „Amabadelo“ in Liverpool. In beratender Funktion im Bereich Community Music war sie für verschiedene renommierte Konzerthäuser wie die Münchner Philharmoniker, das Konzerthaus Dortmund und die Elbphilharmonie tätig. Seit 2022 ist sie Professorin für Community Music an der Hochschule Düsseldorf.