Best of #11 Wirkung

Musik Gemeinschaft Demokratie

Wirkung entsteht immer im kommunikativen Prozess. Musik ist per se Kommunikation und kommt dabei zumeist ohne Worte aus. Gerade dadurch erreicht sie Menschen viel direkter als Sprache, weil sich Qualität und emotionale Intensität als Resonanz unmittelbar übertragen. Das Besondere am Wirkungszusammenhang musikalischer Situationen ist für mich dabei, dass er niemals genau definierbar und planbar ist. Denn er entsteht aus dem Spiel zwischen Musizierenden und Zuhörenden in einem bestimmten Moment. Am schönsten ist es für mich, wenn in der Kunst Erwartungshaltungen auf Unerwartetes treffen, wenn Gewohnheiten, vermeintliche Grenzen und Regeln gesprengt werden und sich für alle Beteiligten neue Möglichkeiten eröffnen. Das Versprechen und die Garantie, diese gesellschaftlichen Resonanz- und Veränderungsräume für jede:n Einzelne:n offen zu halten, ist mit der Kunstfreiheit im Grundgesetz verankert. Das brauchen wir in unserer Zeit des Wandels mehr denn je, denn die Freiheit der Kunst wird aktuell an vielen Stellen bedroht.

Auch dies ist für mich Anlass, über die Art und Weise nachzudenken, wie Musik in unserer Gesellschaft verortet ist. Welche Wirkungsräume eröffnen wir mit Musik? Schon die hergebrachte klassische Aufführungssituation, das Konzert, involviert beide Seiten – die Spielenden und die Zuhörenden. Das Beobachten und Zuhören löst Resonanzprozesse aus, die uns innerlich in Bewegung setzen. Dieses Involviertsein potenziert sich, je enger der Kontakt zwischen Publikum und Künstler:innen ist. Aktivitäten der Community Music sind von dieser Idee getragen. Sie schaffen voraussetzungslosen Zugang zu Musik und ermöglichen aktives musikalisches Handeln und Gestalten, ohne gezielt erziehen, vermitteln oder bilden zu wollen. Der Lern- und Wirkzusammenhang entsteht aus der gleichwertigen Beziehung aller Beteiligten in Gemeinschaft und auf Augenhöhe zueinander. Der musikalische Prozess ist untrennbar mit dem sozialen Prozess verbunden, was seine Wirkung so besonders und intensiv macht. Die Kunst der Anleitung („Facilitation“) liegt darin, kluge Impulse zu setzen, sinnvoll zwischen Lenken und Geschehenlassen zu mäandern, Verantwortung abzugeben und so einen sicheren Rahmen für alle zu schaffen. Darin kommen Menschen in die Lage, über ihre gewohnten und alltäglichen Kontexte hinaus zu erleben und zu gestalten, neue Seiten an sich zu entdecken und sich neue Erlebnisräume zu erobern. Diese Erfahrung von Selbstwirksamkeit wirkt sowohl auf das Individuum als auch auf die Gemeinschaft.

Aus meiner Sicht liegt hier die Chance, aus dem künstlerischen, musikalischen Handeln gesellschaftliche Wirkung zu entfalten. Die Erfahrung von Partizipation und eigener Gestaltungskraft kann dazu ermutigen, diese auf die eigene Lebenswirklichkeit, das eigene Umfeld und die Beziehungen im Nahraum zu übertragen. Aktivitäten der Community Music sind ein Ansatz, um das Zusammenleben in den Quartieren, die gegenseitige Wahrnehmung und den Kontakt der Menschen untereinander grundlegend zu verändern. Eine vielfältige Gesellschaft braucht solche Räume, die aus der Musik heraus entstehen und in die Stadtentwicklung wirken können. Das Community Music-Team am Konzerthaus Dortmund leistet meiner Meinung nach in dieser Hinsicht seit Jahren beispielhafte Pionierarbeit in dem strukturell benachteiligten Stadtteil rund um das Konzerthaus. Diese Facette professioneller musikalischer Praxis in unserer Gesellschaft neben dem klassischen, von Exzellenz geprägten Konzertleben gleichwertig zu etablieren, halte ich für enorm wichtig und zukunftsweisend. Denn ich erkenne darin das Potenzial der Musik, demokratisches Handeln zu fördern und eine offene und gleichberechtigte Gesellschaft zu stärken. Ich begrüße es, dass das Dortmunder Team inzwischen als selbstständiges Kollektiv auch an anderen Orten, wie beispielsweise Chemnitz, musikalische Community-Projekte umsetzt. Ich beobachte die Entwicklungen erwartungsvoll und gespannt und halte es mit Gerfried Stocker:

„Wir sind der Dünger in der Wandlungsfähigkeit der Gesellschaft“

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©Maxim Zimmermann

Antje Valentin studierte Instrumentalpädagogik mit Hauptfach Klavier an der Universität der Künste Berlin. Ihre pädagogische Arbeit an der Musikschule Berlin-Spandau verband sie mit Konzerttätigkeit. Von 1997 bis 2000 leitete sie kommissarisch die Musikschule Berlin-Friedrichshain und absolvierte das Studium Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. Sie war stellvertretende Leiterin der Landesmusikakademie Berlin und von 2011 bis 2024 Direktorin der Landesmusikakademie NRW. Seit März 2024 ist sie Generalsekretärin des Deutschen Musikrats. Sie ist in verschiedenen Gremien aktiv, u.a. als Vorstandsmitglied des NJO und der Stiftung Jeunesses Musicales.

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