Best of #12 "Aushalten!"

„Hochmotiviert, exzellent ausgebildet, prekär bezahlt“ titelte die erste Studie zu Arbeitsbedingungen in der Musikvermittlung, die NJO gemeinsam mit EDUCULT 2018 durchgeführt hat. Tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzungen und Multikrisen sowie der hohe Finanzierungs- und Transformationsdruck in der Kultur stellen den Hintergrund für die aktuelle Neuausspielung des Umfragedesigns. Dabei wurden erstmalig – besonders in Hinblick auf die Corona-Pandemie – Aspekte der Krisenresistenz, Qualitätssicherung und Resilienz einbezogen. An der Online-Umfrage beteiligten sich im Zeitraum 3. Februar bis 5. März 2025 über 400 Musikvermittler:innen aus dem deutschsprachigen Raum.

Musikvermittlung braucht Perspektiven – so lautete das Fazit der Studie 2018, die „fachliche Wertschätzung, angemessene Bezahlung und geregelte Arbeitszeiten“ als zentrale Forderungen identifizierte. Sieben Jahre später zeigt die Auswertung der neuen Studie nur wenig positive Bewegung bei diesen Faktoren. Dass unter diesen Bedingungen der Bereich Musikvermittlung nur wenig Haltekräfte entwickeln kann, offenbart sich beim Blick in die neue Erhebung, deren Auswertung wir mit „Hochqualifiziert & auf dem Sprung zu neuen Aufgaben“ überschrieben haben.

Denn nicht erst langfristig werden Braindrain und Fachkräftemangel zentrale Themen für das gesamte Arbeitsfeld darstellen. 77% der Teilnehmenden sind zwar überzeugt, dass Musikvermittlung in Zukunft wichtig(er) wird, perspektivisch streben aber 42% der Befragten an, das Arbeitsfeld zu verlassen. Ihre primären Gründe: Unangemessene Bezahlung und unsichere Zukunftsaussichten. Nach der Belastung gefragt, monieren 51% der Teilnehmenden, dass unzureichend auf ihr psychisches Wohlbefinden und die Work-Life-Balance Rücksicht genommen wird. Auch dies ein alarmierendes Warnsignal, das weitere Sollbruchstellen aufzeigt. Aus diesem Bild entsteht der dringende Appell an Institutionen und Strukturen der Branche, zeitnah Lösungen für diesen Fehlstand zu finden. Ansätze lägen in der Anerkennung der individuellen Potenziale und Techniken der vermittelnden Praxis nicht nur im Publikumsbezug, sondern auch mit Blick auf institutionelle Transformationsprozesse. Damit einhergehend bedürfte es einer grundlegenden Veränderung des organisationalen Rollenverständnisses sowie einer ernsthaften strukturellen Einbindung auf institutioneller Ebene.

Nachfolgend präsentieren wir erste Auswertungen der gesammelten Daten. Gerne stellen wir diese für weitere wissenschaftliche Analysen zur Verfügung und freuen uns darauf, gemeinsam spezifische Fragestellungen zu entwickeln.

Resonanz

Insgesamt 422 Personen haben die Umfrage beantwortet, davon haben 271 den Fragenkatalog vollständig abgeschlossen. Aufgrund dieser hohen Resonanz kann man für Deutschland von validen Ergebnissen spre- chen, auch die Anzahl der Befragungen in der Schweiz und Österreich lassen gute Einschätzungen für die Lage in diesen Ländern zu.

Sonderfall Musikschule

Mit einer Beteiligung von 35% (32% der vollständig abgeschlossenen Umfragen) zeigt sich im Vergleich zur Umfrage von 2018 ein auffallend hoher Anteil von Personen, die als Haupttätigkeitsort Musikschulen angeben, d.h. überwiegend als Instrumentallehrkräfte tätig sind. 47,9% dieser Befragten verstehen sich als Musikvermittler:innen, sind aber ausschließlich an Musikschulen/Schulen tätig. Eine Einzelauswertung der Ergebnisse für den Bereich Musikschule ist daher möglich und aufschlussreich.

Der hohe Anteil freiberuflicher Lehrkräfte ist insbesondere mit Blick auf die Reichweite des sog. Herrenberg-Urteils eine Herausforderung für die Träger der Musikschulen, die aktuell bereits breit diskutiert wird. Für die Frage der Arbeitsbedingungen ergibt sich eine prekäre Situation aus der Tatsache, dass die Betroffenen überwiegend ohne betriebliche Alterssicherung auskommen müssen.

Blickt man bei den Umfrageteilnehmenden im Kontext Musikschule auf die Altersstruktur, zeigt sich eine eklatante Fehlstellung der Alterspyramide. Daraus ist prognostizierbar, dass sich der bereits spürbare Fachkräftemangel in den kommenden Jahren drastisch verschärfen wird. Demgegenüber zeigt sich aber auch, dass im Bereich Musikschule die Zufriedenheit mit dem gewählten Arbeitsbereich relativ hoch ist: 79% stimmen der Aussage „Ich würde immer wieder die Musikvermittlung als meinen Arbeitsbereich wählen“ voll oder wenigstens überwiegend zu. Mit 76% sieht sich eine hohe Anzahl der Befragten bis zum Ende ihres Berufslebens in diesem Arbeitsbereich. Interessant ist dabei die Korrelation der Einschätzung, dass Musikvermittlung in Zukunft zwar eine wichtige Rolle einnehmen wird, verbunden aber mit der Erwartung, dass die dafür nötigen Handlungsspielräume sich verkleinern werden.

Jenseits der Musikschulen

Lässt man den Bereich Musikvermittlung an Musikschulen außen vor, bestätigen sich einige Erkenntnisse aus dem Jahr 2018. Nach wie vor ist das Arbeitsfeld weiblich dominiert: 82% der Teilnehmenden identifizieren sich als weiblich. Erneut bestätigt sich die hohe Qualifikation der Akteur:innen: 74% haben einen Magister-/Diplom- oder Masterabschluss, 6% sind promoviert/habilitiert. 33% haben explizit im Fach Kultur-/Musikvermittlung abgeschlossen, 18% verfügen über berufsbegleitende Qualifikationen in Musikvermittlung.

Gegenüber 2018 zeigen die Daten hinsichtlich der Altersstruktur wenig Veränderung, auch wenn die jüngeren Altersgruppen etwas an Dominanz verlieren. Alarmierend ist dabei die Tatsache, dass die Altersgruppen 26–35 und 36–45 Jahre schrumpfen und nur die Altersgruppe der 56–65 signifikant wächst. Dies stützt die Vermutung, dass Musikvermittlung ein Arbeitsfeld ist, dass für die Akteur:innen mit zunehmendem Alter an Attraktivität verliert und diese sich ab einem Alter von etwa 35 Jahren vermehrt anderen Berufsperspektiven zuwenden.

Dies wird dadurch gestützt, dass 56% der Befragten maximal 10 Jahre Berufserfahrung angeben. Zusätzlich besorgniserregend ist die Tatsache, dass in der Alterskohorte bis 35 Jahre (n=79) 24% der Befragten die Frage „Ich überlege perspektivisch den Bereich Musikvermittlung zu verlassen“ mit „Ja“ beantworten, weitere 45% „Vielleicht“ angeben. Dies wird zumeist mit dem Wunsch nach besseren Zukunftsaussichten und höherem Einkommen begründet. Setzt die aktuell dominierende Alterskohorte 26–35 Jahre diesen Wechselwunsch um, zeichnet sich auch für den Bereich Musikvermittlung außerhalb der Musikschulen in den kommenden Jahren ein verstärkter Fachkräftemangel ab.

Finanzielles

Ein gesicherter Überblick über die finanzielle Situation der in der Musikvermittlung Tätigen ist aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Beschäftigungsverhältnisse schwer zu generieren. Die hohe Anzahl an Teilzeitkräften, freiberuflich Tätigen sowie projektweise, respektive in Spielzeitverträgen temporär Beschäftigten macht eine belastbare Darstellung der Einkommen schwer. Bei Vollzeitbeschäftigung (n=73) liegt das angegebene mediane Brutto-Jahresgehalt in Vollzeitbeschäftigung bei Euro 50.000. Dies ist einem TVöD Gehalt der Gruppe 9b vergleichbar, die ein Bachelor- oder Fachhochschulstudium verlangt – was unter der Qualifikationsstufe der meisten in der Musikvermittlung Tätigen liegt. Gleichzeitig liegt es deutlich über der Mindestgag des NV-Bühne (Jahresbrutto Mindestgage bei Euro
39.420).

Die deutliche Mehrheit der Befragten ist jedoch nicht in Vollzeit angestellt. 51% geben an, dass sie ihre Einkünfte aus der Musikvermittlung durch andere Tätigkeiten ergänzen. Im Bereich der Teilzeit- und freiberuflichen Tätigkeit zeigt sich mithin eine große Schwankungsbreite der angegebenen Einkommen, die weiterhin auch prekäre Beschäftigungsverhältnisse in der Musikvermittlung signalisieren.

Missbrauch

Erstmals haben wir in der Umfrage nach Missbrauchserfahrungen am Arbeitsplatz gefragt. 29% der Befragten gaben an, aktuell oder in der Vergangenheit von struktureller Gewalt, Diskriminierung und/oder sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen zu sein (Mehrfachnennungen möglich). In 78% der Fälle wurden in der Struktur keine Maßnahmen ergriffen, um solche Vorfälle in Zukunft zu verhindern. 33% haben deswegen die jeweilige Struktur verlassen, nur 18% ist es gelungen, die Situation durch interne (Betriebsrat
etc.) oder externe Hilfe zu lösen.

Corona

Die Corona-Pandemie hat den Bereich Musikvermittlung nach Einschätzung der Befragten eher geschwächt. Dementsprechend fällt die Bilanz hinsichtlich möglicher Positiveffekte dieser Phase auch zurückhaltend aus. Positiv hervorgehoben werden lediglich die Erschließung digitaler Technologien (88% trifft zu/trifft eher zu) und die Entwicklung neuer Formate (82% trifft zu/trifft eher zu) gesehen. Hinsichtlich der Verankerung von Musikvermittlung in institutionellen Strukturen (77% trifft eher nicht zu/trifft gar nicht zu) und der Publikumsgewinnung (79% trifft eher nicht zu/trifft gar nicht zu) werden die Auswirkungen der Pandemie aber eher als negativ angesehen. Dies deckt sich auch mit den Erkenntnissen
der jüngsten unisono-Studie, wonach die Konzertprogramme deutscher Orchester wieder verstärkt auf klassische Frontalbespielung in Konzertformaten setzen.*

Möchte man ein Resümee ziehen, was Akteur:innen im Arbeitsfeld Musikvermittlung aushalten müssen, lässt sich dies auf vier zentrale Aspekte zuspitzen:

Auch wenn 77% der Befragten davon überzeugt sind, dass Musikvermittlung in der Zukunft an Bedeutung gewinnen wird, sehen sich 42% der aktiven Musikvermittler:innen perspektivisch nicht mehr in diesem Arbeitsfeld. Was aber hilft das bedeutendste Arbeitsfeld, wenn die Haltekräfte für Mitarbeitende nur marginal ausgebildet sind? Eine Struktur, die es sich mitten im demografischen Wandel erlaubt, sehenden Auges gut ausgebildete Fachkräfte frühzeitig ziehen zu lassen, ist auf eine solche Herausforderung schlecht eingestellt. Die Nachhaltigkeit steht zudem enorm infrage, wenn in Projektzusammenhängen erworbenes Wissen nicht für die Institutionen erhalten bleibt, sondern mit der verantwortlichen Person am Ende der Projektlaufzeit davonzieht, wie es in vielen kurzfristigen Förderprojekten der Fall ist.

Ob sich dieses „Fahren auf Verschleiß“ als genauso fatal erweist, wie die Deutsche Bahn unpünktlich ist und die Autobahnbrücken einsturzgefährdet sind? Das wird sich vermutlich schneller zeigen, als es uns lieb ist.

*unisono (2025): Konzertstatistik, https://uni-sono.org/klassikland-deutschland/konzertstatistik/ (letzter Zugriff am 22.04.2025).