Best of #11 "Wirkung!"

Wir wollten doch gar nicht spielen…

Zukunftsperspektiven von Kulturinstitutionen als Spielanordnung

Um es gleich vorwegzunehmen: Ebenso wenig wie mein „Partner in Crime“ Alexander von Nell zähle ich mich zu den Menschen, die sich in ihrer Studienzeit zu ausufernden Spieleabenden in WG-Küchen verabredet haben. Konsolenspiele finde ich zum Sterben langweilig, genauso wenig begeistern mich Rollen- und Adventure Games, ob ganz Old School in Buchform, digital oder in echt und verkleidet in der Wildnis. Spielanleitungen verstehe ich grundsätzlich nicht, man muss mir die Regeln erklären und dabei viel Verständnis aufbringen. Ich kann nur schwer um die Ecke denken und aus einem Escape Room müsste man mich vermutlich irgendwann befreien, weil ich darin sonst bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag feststecken würde.

Ich weiß also nicht, was mich geritten hat, als wir mit Prof. Irena Müller-Brozovic darüber brainstormten, wie das NJO eine Zukunftswerkstatt für das Symposium „Transformationen. Musikvermittlung als Game Changer“ an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz gestalten könnte. „Wie wäre es, wenn wir ein Spiel entwickeln“, sagte irgendjemand mit meiner Stimme. Und da war es in der Welt – die Auftraggeberin fand die Aussicht prima, der Co-Geschäftsführer hat auch nicht gezuckt und damit hatten wir einen Auftrag: Ein Spiel zu entwickeln, das den Teilnehmenden die Möglichkeit gibt, sich kreativ mit spezifischen Herausforderungen des Musiklebens zu beschäftigen, gemeinsam strategische Entscheidungen abzuwägen und ihre eigene Transformationskraft zu ergründen. Nachdem wir das Thema etwa eine Woche lang verdrängt hatten, mussten wir uns der selbstauferlegten Aufgabe zuwenden. Zuallererst haben wir festgelegt, was unser Spiel nicht sein sollte – kein Rollenspiel und kein Planspiel, vor allem sollte es darin keine eindeutigen oder vorgezeichneten Wege, kein definiertes Richtig oder Falsch, kein kompetitives Gegeneinander und auch kein festgelegtes Ziel geben.

Denn es ist unsere Überzeugung, dass wir in der realen Praxis des Musiklebens nicht wissen können, mit welchen Lösungen wir in der Zukunft erfolgreich sein werden. Viele Faktoren können wir noch nicht kennen und gerade angesichts der großen Herausforderungen, vor denen Kultur und Gesellschaft aktuell stehen, brauchen wir keine vorgefertigten Rezepte, sondern Mut, neue Wege zu gehen, Offenheit für ungewöhnliche Lösungen und die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen. Transformation verstehen wir als einen Prozess, der nie ganz abgeschlossen sein kann.

Wir wollten, dass unser Spiel haptisch ist – also einen richtigen Spielplan hat, auf dem man sich mit einer Figur durch Würfeln fortbewegt. Besonders wollten wir erreichen, dass die Spielenden in einen lebendigen Austausch kommen, der Ideen und Lösungsansätze hervorbringt.

Über all diese formalen und inhaltlichen Aspekte kristallisierte sich eine kooperative Spielanordnung heraus, die unter dem Titel Escape Musikvermittlung Gestalt annahm.

Die Spielregeln

Das Spiel kann von mehreren Gruppen mit je bis zu sechs Personen gleichzeitig gespielt werden und ermöglicht Interaktion über die einzelnen Gruppen hinweg. Es funktioniert aber auch mit einer einzelnen Spielgruppe.

Jede Gruppe verkörpert zusammen eine Kultureinrichtung, die sie durch verschiedene Ereignisse und Herausforderungen navigieren muss. Zu Beginn des Spiels erhält jede Gruppe Informationen, mit denen sie sich ihre Rolle zu eigen macht: Ein „Szenario“ charakterisiert die Organisation, deren Wohlergehen sichergestellt werden soll. Dies wird ergänzt durch drei „Perspektiven“, die typisierte Kräfte in der Organisation beschreiben. So gibt es beispielsweise im Szenario „Stadttheater mit Teamleitung“ eine inhaltlich-progressive Perspektive, der in der Belegschaft eine konservativ-exzellenzorientierte Perspektive und eine wirtschaftlich-auslastungsorientierte Perspektive gegenüberstehen. Diese Perspektiven sind nicht personenbezogen, sondern markieren Haltungen, die von verschiedenen Personen oder Gruppen im Haus vertreten werden.

Der Spielverlauf führt das Team auf Ereignis- und Aufgabenfelder, die unter Berücksichtigung aller Perspektiven zu bearbeiten sind. Das können Herausforderungen sein, wie das öffentlich geäußerte Lob des rechtspopulistischen Stadtrats für das Programm, oder Ereignisse, wie die Havarie auf der großen Bühne, die einen längerfristigen Vorstellungsausfall nach sich zieht. An diesen Stellen muss sich die Gruppe darüber verständigen, wie ihre Institution unter den skizzierten organisationalen Voraussetzungen mit den Situationen umgehen kann, wofür sie sich entscheidet und Haltung zeigt und wie die verschiedenen Kräfte am Haus miteinander zu Antworten kommen. Dabei ist der Entscheidungsfindung ein zeitliches Limit gesetzt. Die möglichen Lösungsansätze werden auf einer Stellwand festgehalten.

Eine weitere Ebene eröffnet sich durch Interventionen der Spielleitung, die bspw. ein bundesweites Förderprogramm ausrufen kann, für das Blitzanträge eingereicht werden können – allerdings nur in Verbindung mit einer anderen Institution (= Kooperation mit einer anderen Spielgruppe). In Linz ließ sich dies besonders gut umsetzen, weil die Räume mit Mediaboards ausgestattet waren. So konnten wir uns per Screen einschalten, um den Spielverlauf mit weiteren (optionalen) Aufgaben zu stören.

Spielerische Strategien und neue Perspektiven: Ein erfolgreicher Abend in Linz

Das Ende des Spiels ist definiert durch den Zeitrahmen, der für die Session zur Verfügung steht – 90 Minuten waren in Linz dafür vorgesehen. Oder aber, wenn eine Gruppe auf dem Spielplan das Feld „Ziel“ erreicht hat. Im Verlauf des Spiels führt jedes Team eine Reihe von Strategiegesprächen miteinander und entwickelt Ideen, wie eine Organisation unter Berücksichtigung verschiedener und teilweise widerstreitender Kräfte zu Entscheidungen kommen könnte. Die gefundenen Lösungen werden begleitend festgehalten und anschließend gibt es Gelegenheit, gruppenübergreifend miteinander darüber in den Austausch zu kommen.

Der Spieleabend in Linz war ein voller Erfolg, denn der interaktive Ansatz ist enorm aktivierend und nicht zuletzt sehr unterhaltsam. Wir haben uns über das positive Feedback gefreut und gleich ein Bündel neuer Ideen geschnürt – für weitere Szenarien, neue Interventionen und auch Einsatzbereiche. Es erreichen uns erste Anfragen für weitere Veranstaltungen, bei denen wir das Spiel mitbringen werden. Wir sehen aber auch Perspektiven für unsere Beratungsarbeit. Szenarien, Perspektiven und Aufgaben können individuell angepasst werden und damit die spezifischen Fragestellungen der Klienten aufgreifen. So können reale Perspektiven, Kennzahlen und Herausforderungen in der Spielentwicklung mitgedacht werden. Der spielerische Rahmen schafft die nötige Distanz, um das eigene Potential zu erforschen und neue Kreativität freizusetzen.

Es war nie unsere Absicht, ein Spiel zu erfinden – wir haben aber Feuer gefangen und freuen uns auf die nächsten Runden.

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