Best of #11 Wirkung

Round Table „Exzellenz“ mit Marc Grandmontagne, Dirk Kaftan und Simone Keller

Zu einem offenen Austausch trafen wir die Schweizer Pianistin Simone Keller, den GMD des Beethoven Orchester Bonn Dirk Kaftan und den Kulturberater und ehemaligen Geschäftsführenden Direktor des Deutschen Bühnenvereins Marc Gandmontagne. Schon im Vorfeld hatten wir ihnen die Frage gestellt, welche Rolle der Begriff „Exzellenz“ in ihrer persönlichen Laufbahn gespielt hat.


Dirk Kaftan:
Für mich hat der Begriff im aktiven Sprachgebrauch keine große Rolle gespielt. Außerdem mögen bei einem Dirigenten andere Parameter entscheidend sein als bei Instrumentalisten, wo Exzellenz in der Regel mit spielerischer Qualität gleichgesetzt wird. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff beginnt für mich dann, wenn ich Anwürfen aus der Politik begegnen muss; wenn es heißt: das, was wir tun, sei elitär. „Hochkultur“ ist der Begriff, der dann häufig fällt, und den mag ich genau so wenig wie den der Exzellenz. Aber ich denke auch: Wenn wenige Menschen auf einer Bühne etwas machen und viele Menschen dazu bewegen wollen, ihnen zuzuhören oder zuzusehen, muss das etwas Besonderes sein. Ob das dann schon „Exzellenz“ ist? Hier geht es um Parameter, die sich ändern – gerade auch hinsichtlich dessen, was die Orchestermusikerin der Zukunft ausmachen muss. Es wird immer deutlicher, dass es um mehr geht, als die Perfektion am eigenen Instrument. Orchestermusiker müssen auch Botschafter sein und z.B. bei Jugendprojekten und Performances mitwirken. Die Identität und das Erscheinungsbild von Orchestern verändern sich – und damit die Anforderungen an die Einzelnen. Es gibt eine Tendenz hin zur Gesellschaft. Aber man muss sich auch klarmachen, dass es harte Arbeit ist, bis man an seinem Instrument so gut ist, dass man in ein solches Orchester aufgenommen wird. Parallel dazu noch Fähigkeiten wie Rhetorik oder Pädagogik auszubilden, ist kaum möglich. Das Thema Qualifizierung beschäftigt uns aktuell sehr. Gemeinsam mit dem Beethovenfest Bonn gründen wir gerade ein Fellowship-Programm, in dessen Rahmen teilnehmende Musiker:innen u.a. eigene Projekte umsetzen, die wirklich für sie als Persönlichkeit stehen. Es ist in diesem Bereich viel in Bewegung und das ist auch sinnvoll. Ich möchte das gerne in dieser Runde zukunftsorientiert diskutieren.

Simone Keller: Mich persönlich als freischaffende Musikerin betrifft diese „Tendenz zur Gesellschaft“ vor allem dann, wenn mich große Institutionen einladen und ich das Gefühl habe, dass ich dafür zuständig bin, mit meiner Arbeit das Häkchen bei „Diversität“ oder „Inklusion“ zu setzen. Ich nehme wahr, dass Dirk in seiner Arbeit sehr sorgfältig an diese Fragen herangeht und wirklich als Institution selbst etwas verändern möchte. Mich würde interessieren, wie es Dir gelingt, in die Breite zu denken, aber mit hohem Qualitätsanspruch? Wie begeisterst und überzeugst Du alle dafür?

DK: Ich sehe zwei Ebenen, auf denen man ansetzen muss. Einerseits ist es das Selbstbild. Auf die Idee der Fellowship-Akademie kommen vom Orchester durchaus Bemerkungen wie „Ach, das ist dann so eine B-Akademie, wo man Musiker holt, die auf ihrem Instrument nicht so gut sind“. Da ist eine gute Prozessmoderation gefragt. Andererseits sind es die Strukturen. Alles, was bei uns nicht im tarifvertraglichen Mainstream läuft, muss auf freiwilliger Basis stattfinden. Ich habe zum Glück ein wahnsinnig motiviertes Orchester, das über die vertraglichen Definitionen hinaus arbeitet. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Institution im Grunde nicht die nötigen Rahmenbedingungen hergibt, um dieses Engagement auch wirklich zu verlangen. Das wäre aber nötig, um den neuen Visionen ein Fundament zu geben.

Marc Grandmontagne: Ich will für den Begriff Exzellenz doch noch einmal eine Lanze brechen. Denn: Wir wollen Spitzenleistung! Niemand will schlechte Musik oder schlechtes Theater. Ein Gefühl für Qualität ist nichts Falsches! Der Mensch will über sich selber hinauswachsen, das will er auch mit Kunst, Religion und Wissenschaft. Das halte ich erstmal für einen ganz normalen Impuls. Es geht aus meiner Sicht daher gar nicht um den Abbau in der Spitze, sondern es geht um eine Verbreiterung des Begriffs. Aktuell begleite ich die Stadt Erfurt bei einem durch die Kommune ausgerufenen Theater-Transformationsprozess. Dabei offenbart sich ein wachsender Gap zwischen der Stadtgesellschaft und der künstlerischen Leitung im Theater. Während das Haus nach Sichtbarkeit im Feuilleton strebt – also das herkömmliche Exzellenzprinzip lebt –, fühlen sich die Stadt und auch viele Mitarbeitende immer weiter abgehängt. Unsere Workshops zeigen, dass im Ensemble und Orchester viel Bewusstsein und Bereitschaft für kulturelle Bildung und Communityarbeit vorhanden ist. Aber auch hier werden die Beharrungskräfte der Strukturen, die Dirk eingangs schon beschrieben hat, deutlich. Dabei wäre Veränderung, Transformation, notwendiger denn je. Aber kaum jemand erträgt die Offenheit eines Transformationsprozesses – und zwar weder in den Institutionen, noch in der Politik. Insofern komme ich auf dieselbe Forderung wie Dirk und Simone: Eine Verbreiterung des Exzellenzbegriffs über Dimensionen künstlerischer Qualität hinaus ist nötig, um einerseits ein neues Selbstbild bei Musikerinnen anzulegen, andererseits um nachhaltig Strukturen zu bilden in Tarifverträgen, Zeitbudgets, Bezahlung und um ein Bewusstsein zu prägen, dass all das aufs Gemeinwesen einzahlt.

NJO: Kann man Exzellenz jenseits technischer Perfektion messbar machen? Wie sind Eure Erfahrungen
diesbezüglich?

SK: Aus meiner langjährigen Erfahrung in Wettbewerben – als Teilnehmerin, aber auch als Jurymitglied – kenne ich den Diskurs um verbindliche Kriterien. Und ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, Kriterien für Qualität zu benennen und anzuwenden. Aber ich habe immer dafür gekämpft, dass es keine absolute Messbarkeit gibt. Musik und Kunst sind so vielfältig, dass es in der Betrachtung vielfältige Perspektiven braucht und nicht einen einzigen Maßstab für alles. So wichtig ich es finde, Exzellenz zu fördern, möchte ich auch die Breite nicht verlieren und halte eine Zweiteilung in Elite- und Breitenförderung sogar für schädlich. Schon in meiner Kindheit auf dem Land habe ich ein Bewusstsein für Biodiversität entwickelt und auch für unseren Bereich gilt: Artenvielfalt steigert die Qualität insgesamt.

MG: Künstlerische Exzellenz hat immer mehrere Dimensionen,
und die technische Präzision ist eine davon. Aber das alleine reicht nicht. Igor Levit spielt fantastisch Klavier, aber ist eben auch der politische Aktivist, der eine klare Haltung hat und für Werte einsteht. Wenn eine Maschine genauso spielen würde wie Igor Levit, wäre das völlig uninteressant. Neben der technischen Präzision ist also die Persönlichkeit mitentscheidend. Und neben Präzision und Persönlichkeit wäre das dritte „P“ für mich das Thema Prozess. Wenn Simone in einem Museum oder im Altenheim Klavier spielt, dann entsteht eine völlig andere Atmosphäre als im Konzert. Da passiert menschlich etwas ganz Anderes und es sind auch andere Parameter dafür entscheidend, ob der künstlerische Moment exzellent ist. Ich finde, der Begriff Exzellenz muss als Summe dieser verschiedenen Dimensionen – Präzision, Persönlichkeit, Prozess – gelesen werden und eine neue Aufladung im öffentlichen Bewussstein bekommen.

NJO: In der künstlerischen Ausbildung und Bewertung sind Perfektion oder Präzision nach wie vor die wichtigsten Aspekte. Für Persönlichkeitsentwicklung oder Prozesse gibt es hingegen kaum Übungsräume. Bei Momenten des Scheiterns kommt oft zuerst die Eigenkritik „Ich habe nicht gut genug geübt“ – ohne weitere Reflexion. Teilt ihr die Ansicht, dass die Ausbildungsmodelle es unglaublich schwermachen, über mehrere Dimensionen von Exzellenz nachzudenken? Und: Bräuchte es mehr positive Utopien, was Musik sein könnte, außer perfektes Spiel?


DK: Das ist, glaube ich, der entscheidende Punkt: Dass klar wird, warum machen wir das, was wir tun, und mit welchen Visionen tun wir es, und was brauchen wir dafür an Einsatz, an Qualität, an Persönlichkeiten, die an dieser Vision mitarbeiten? Gerade jetzt, wo wir in den Kommunen, den Städten und der Gesellschaft ganz anders gefordert sind, als noch vor 60 Jahren.

SK: Auch, wenn ich immer wieder antikompetitive Statements mache: Ich habe sehr von dem kompetitiven System profitiert. Ich war ein sehr schüchternes Mädchen und dadurch, dass ich Preise gewonnen habe, habe ich quasi die Legitimation bekommen, in diesem System mitzumachen. Wenn ich aber mit meiner Arbeit heute zum Beispiel ein Jugendgefängnis gehe und da mit jugendlichen Gewalttätern Musik mache, fangen sie Feuer; sie sagen, dass sie auch Musiker werden wollen. Dann komme ich in die schwierige Situation, ihnen erklären zu müssen, dass man diesen Weg als 17-Jähriger nicht mehr einschlagen kann – selbst wenn man vorher nicht straffällig geworden ist. Ich muss ihnen ehrlicherweise sagen, dass das in diesem System nicht möglich ist. Dies ist sicher ein extremer Fall. Trotzdem ist es mir ein ganz großes Anliegen, dass wir versuchen, mehr Zugänge zu bauen, ohne zu sagen, jeder darf einfach so mitmachen, wie er will, und es spielt keine Rolle, ob es Qualität hat.


MG: Es gibt eine wahnsinnige Angst vor Veränderung. Die Angst, ohne Veränderung vor die Wand zu fahren, ist viel kleiner als die, mit Veränderungen neue Möglichkeiten zu bekommen. Wolf Lotter, der große Transformationsexperte, hat mal gesagt, die Deutschen hätten ein Problem damit, kulturell mit Neuem umzugehen. Ich habe in einem Bericht über Simones Projekte gelesen „sie spielt, wovor sich andere fürchten“. Wie kommt man zu so einem Satz? Wenn man sieht, was du machst und worauf sich das bezieht – Uraufführungen, Zeitgenössisches, neue Formate, also freies Arbeiten im besten Sinne – da hätte ich ja Lust und keine Angst. Warum man davor Angst haben muss, erschließt sich mir nicht.


NJO:
Ihr habt viele Begriffe genannt, die wir beim NJO im Kontext Musikvermittlung ständig thematisieren: Zugänglichkeit, Nähe, Sorgfalt. Wann ist Musikvermittlung oder Vermittlung von Kunst eigentlich exzellent und was sind die entsprechenden Indikatoren?

DK: Für uns als Orchester ist Musikvermittlung Teil unserer DNA und Nähe ist ein zentraler Begriff. Wir haben eine wunderbare Musikvermittlerin, die gemeinsam mit den Musikern in die Schulen, in die Stadt geht und Projekte umsetzt. Nähe herstellen ist vor allem bei Kindern relativ leicht, schwieriger wird es bei den Erwachsenen. Die versuchen wir auf anderen Wegen zu erreichen. Wir haben die Reihe „Grenzenlos“, bei der wir mit Musikerinnen aus anderen Kulturkreisen arbeiten und verschiedene kulturelle Schwerpunkte setzen. Ich habe eine Talkshow erfunden, bei der wir über aktuelle Themen sprechen und Künstler und Musik kennenlernen. Letztendlich geht es darum, Geschichten zu erzählen und in die Stadt hinein zu tragen. Wir bieten Zugänge, die man so früher nicht gehabt hat. Ein entscheidender Punkt ist, dass Musikerinnen in ihrer Ausbildung, am besten schon in der Musikschule, die Vermittlung gleich mitdenken und mitleben. Es muss früh ein Bewusstsein geschaffen werden, dass diese Ausbildung ein Privileg ist. In dem Sinne: Du darfst dieses wahnsinnig tolle, teure Studium machen, weil du so gut bist. Aber der Deal ist, dass du der Gesellschaft etwas zurückgibst und das, was du tust unter die Menschen trägst.

SK: Ich selber mache sehr viel zeitgenössische Musik, bin also sehr oft in der Situation, dass ich ein Stück spiele, das erst mal nicht allen gefällt. Dann sehe ich mich als Anwältin der Musik und möchte sie so gut ich nur kann verteidigen. Im besten Fall entsteht eine Annäherung und die kann nur entstehen, wenn die Liebe zur Musik und die Liebe zu den Menschen da ist.

DK: Da würden jetzt die Hardliner sagen, „Ich kann gut Klavier spielen und gebe meine Konzerte – genau da ist meine Botschaft“ oder: „Mein Job als Solistin im Orchester ist es, möglichst nicht zu kieksen – alles andere ist Marketing und Vermittlung und das müssen ander machen.“

SK: Ich kenne diese Haltung sehr gut und ich würde sagen: Nein,
das ist zu wenig. Mein Anliegen ist es, das Feuer weiterzutragen für die Sache, die ich mache. Das fordere ich von jedem Musiker.
In meiner Utopie würde ich mir wünschen, dass wir das alle zu unserer Aufgabe machen.

DK: Kann man es nicht trotzdem auch positiv sehen? Dass es der Job von Musikern ist, dieses Feuer durch reines Spiel weiterzutragen? Warum sollen sie jetzt mit ihrem Instrument auf die Straße gehen?

SK: Sie müssen sich nicht zwingend auf die Straße stellen. Es genügt aus meiner Sicht aber nicht, wenn man sagt: Ich lebe für dieses Instrument und die Musik. Wenn man sich als Teil einer Gesellschaft sieht, zu der man beitragen will, und die einen ja auch tragen soll, braucht es mehr. Das kann sehr individuell sein und jeder hat seine eigene Art – aber nach dieser Art sollte jeder zumindest suchen.

DK: Wenn man im Orchester spielt, dann hat man immer wieder zehn Dienste in der Woche, soll dazwischen üben und dann möglichst nicht kieksen. Da fehlt meist der Freiraum für die Suche nach individuellen Wegen.

MG: Es mag der Freiraum fehlen, aber zugleich sind institutionell gebundene Musikerinnen meist besser bezahlt und stärker geschützt als Freischaffende. Sie hatten bisher keine Not, sich über ihre Dienste hinaus zu engagieren. Aber das ändert sich! Der gesellschaftliche Konsens fängt an zu bröckeln. Das ist es ja, was die Kollegen z.B. in Erfurt merken: Sie müssen Nähe zu ihrer Stadtgesellschaft herstellen, weil die sie am Ende des Tages finanziert. Natürlich ist es Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass die von der Stadt getragenen Institutionen sich nicht gegenseitig kannibalisieren. Aber wir kennen es, dass bei knappen Haushaltslagen Konflikte „Sport gegen Kultur„ oder „Kultur gegen Bildung“ hochkochen. Soweit darf es natürlich nicht kommen, denn eine Stadt braucht ein Orchester und ein Schwimmbad und eine Bücherei und Museum und noch viele andere Orte des öffentlichen Lebens. Aber wir müssen uns nichts vormachen: Zu dem Konsens, dass das unverzichtbar ist, müssen die Orchester heute aktiv etwas beitragen

DK: Aus meiner Sicht braucht es einen Förderungsansatz, wie man die Musiker fördert, die solche Aufgaben übernehmen. Es müssen sich nicht alle einbringen, aber der Anteil muss deutlich größer werden.

NJO: Am Anfang sprachen wir über die Qualifikationen, die Musiker heute im Orchester brauchen. Ist es für Dich, Dirk, eine realistische Perspektive, das Probespiel für eine Stelle bei Euch zukünftig mit außermusikalischen Qualifikationen zu verbinden?

DK: Ja, ich hoffe, dass das möglich ist. Orchestermusikerin ist der einzige Beruf, in dem man eine lebenslange Stelle antritt, ohne irgendeine Art von Motivationsgespräch führen zu müssen. Ich finde es skandalös, darauf zu verzichten, und die Leute nicht zu motivieren, sich darüber Gedanken zu machen, warum sie in diesem Orchester sein wollen. Nicht jede Position braucht Zusatzskills, aber man könnte den Betrieb flexibler gestalten und zum Beispiel sagen: Wir suchen eine Violine mit 75% Spielverpflichtung und 25% Engagement in der Jugendarbeit, Social Media usw. Allerdings ist es schon jetzt schwierig, bestimmte Stellen im Orchester zu besetzen. Und auch hier mahlen die Mühlen langsam – es gab im Bühnenverein schonmal die Bemühung, das Thema Probespiel zu hinterfragen. An den Gesprächen war ich beteiligt. Das ist mindestens 15 Jahre her und seither hat sich nichts getan.

SK: Mir gefällt diese Abgrenzung von „außermusikalischen Fähigkeiten“ nicht, denn für mich sind sie das nicht. Es geht um den Begriff der Musik und wie weit er gefasst ist. Ich würde sagen, alles, was ich tue, hat ausschließlich mit Musik zu tun. Überall, wo ich hingehe, über Musik spreche, gemeinsam mit Leuten Musik mache, gemeinsam darüber reflektiere, Programme entwerfe, das ist alles mit drin in der Musik. Ich denke, dass Musik nicht nur heißt, ich spiele mein Instrument so perfekt wie möglich, sondern Musik ist sehr viel mehr als das.


MG: Es ist viel mehr Offenheit gegenüber persönlichen Stärken und Fähigkeiten nötig. Ein Orchester hat das nicht weniger nötig, als jedes andere Unternehmen. Aber es braucht eine Wahrnehmung für die Vielfalt im Kosmos Orchester, über das Musizieren hinaus. Da geht es nicht um ein fertiges Exzellenz-Konzept, sondern im Grunde um etwas wie lebenslanges Lernen – nicht nur bezogen auf das Instrumentalspiel, sondern eben auch auf die Fähigkeiten, die man als soziales Wesen braucht. Das erfassen die tragenden Kommunen in der Bedeutung – auch finanziell – überhaupt nicht. Musikvermittlung und Theaterpädagogik gibt es zwar an den meisten Häusern, aber die finanzielle Ausstattung sowie ihre Stellung in der Institution sind eher überschaubar. Und die Situation von Freiberuflern in diesem Sektor ist schlichtweg katastrophal. Ich sehe es wie Dirk: Wir brauchen Förderungsansätze, und es kann nicht sein, dass diejenigen, die sich engagieren, zeitlich oder finanziell oder kapazitär bestraft werden oder das Haus noch Probleme bekommt, wenn eine Veranstaltung ausfällt. Es braucht hier auf politischer Ebene mehr Mut und Offenheit. Bewegung geht nur mit Veränderung, und Veränderung produziert nicht nur Dinge,
die man will.


DK: Aus meiner Sicht braucht es mehr Austausch – über den eigenen Betrieb hinaus, mit unterschiedlichen Perspektiven. Man ist häufig in seinem Tunnel drin und hat jeden Tag diese starken bürokratischen und institutionellen Grenzen, die einen manchmal zur Weißglut treiben. Es macht mir Mut, dass es Leute gibt wie Euch, die diese Dinge ansprechen. Da kann man sich vielleicht auch in der Zukunft hinwenden, wenn es darum geht, konkrete Schritte zu unternehmen und weiterzudenken, und vor allem möglichst viele Menschen mitzunehmen auf diesem Weg.

SK: Ich sehe viele Gemeinsamkeiten zwischen uns, auch wenn wir mit so unterschiedlichen Perspektiven draufschauen. Dass wir darin auch über die Sinnhaftigkeit von Exzellenz konstruktiv sprechen konnten, hat mich sehr inspiriert.

MG: Für mich hat dieses Gespräch nochmal deutlich gemacht, wie eng die Themen beeinander liegen. Von Exzellenz und Qualität kommen wir bei allen anderen Debatten des Betriebes sehr schnell zu den Strukturen und Fragen der Demokratie und der Beweglichkeit. Insofern ist es wahrscheinlich tatsächlich ein Schlüsselbegriff. Das war mir gar nicht so klar beim Gesprächsanfang – wir sollten das Thema also auf jeden Fall im
Blick behalten!

Marc Grandmontagne: Marc Grandmontagne (Kulturexperten Österreich) arbeitet seit 2022 von Wien aus für die KULTUREXPERTEN Dr. Scheytt GmbH und als freier Kulturberater. Von 2017 bis 2021 war er Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins und von 2013 bis 2016 Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. Weitere berufliche Stationen waren die Stiftung Mercator in Essen, die RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas GmbH sowie das Europäische Parlament in Brüssel. Grandmontagne hat an den Universitäten von Saarbrücken, Tübingen und Siena (Italien) Jura sowie Politikwissenschaften studiert. Er ist u.a. Mitglied der Jury
des Preises „ZukunftsGut“ der Commerzbank-Stiftung und des Kuratoriums des Vereins zur Förderung von Landesjugendensembles NRW e.V.

Dirk Kaftan: „Auf Menschen zugehen“, „Kräfte bündeln“: Das ist wichtig für Dirk Kaftan, den Generalmusikdirektor des Beethoven Orchester Bonn und der Oper Bonn. Dirk Kaftans Repertoire ist breit und reicht von stürmisch gefeierten Beethoven-Sinfonien bis zu interkulturellen Projekten. Für das Beethoven Jubiläumsjahr war Dirk Kaftan Initiator und Motor für eine ganze Reihe von Projekten. Vom UN-Klimasekretariat 2021 wurde das Orchester unter seiner Leitung zum „United Nations Climate Change Goodwill Ambassador“ ernannt. Im Sommer des gleichen Jahres erhielten Kaftan und das Orchester den Europäischen Kulturpreis.

Simone Keller: Die klassisch ausgebildete Pianistin Simone Keller bewegt sich in verschiedenen Stilen und Genres, sucht das Experimentelle und pflegt die Tradition. Seit 2014 leitet sie gemeinsam mit dem Regisseur Philip Bartels das Kollektiv ox&öl, das sich für einen breiten gesellschaftlichen Zugang zu Musik und Theater einsetzt und Inklusion und Diversität als einen selbstverständlichen Teil der künstlerischen Praxis betrachtet. Für ihre künstlerische Arbeit und ihr Engagement wurde Simone Keller mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. 2022 mit dem Schweizer Musikpreis und dem Thurgauer Kulturpreis.

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