Best of #11 Wirkung

Wirkungen mit Nebenwirkungen: Politische Ideen und die Realität

Eine Wirkung erzielen – wer will das nicht. Das gilt nach meiner Erfahrung gerade für Politikerinnen und Politiker. Entgegen der landläufigen Meinung gehen diese eben nicht des Geldes wegen in die Politik. Sondern um etwas zu bewegen, um zu gestalten: um etwas zu bewirken.

Hier hören die Gemeinsamkeiten mit den Aussagen aus der Diskussion aber auch schon auf und die Komplexität beginnt. Was für eine Wirkung – neudeutsch Impact – will man erzielen? Erzielen die Maßnahmen überhaupt den erhofften Impact und wie lässt sich das messen? Und nicht zuletzt: Wie verhindere ich, dass im Ergebnis etwas anderes oder gar das Gegenteil als Wirkung herauskommt? Welche Wirkung soll überhaupt das Ziel der politischen Arbeit sein? Vermutlich wollen fast alle politisch Engagierten eine positive Wirkung für das Land und die Bevölkerung und nicht nur für sich selbst erreichen. Aber welche soll das sein? Hier hat jede Partei eine andere Vorstellung von der erwünschten Wirkung und vor allem über den notwendigen Weg dorthin. Und selbst innerhalb einer Partei sind sich nicht stets alle einig, was nun die wichtigsten Wirkungsziele der Partei sein sollen.

Hat man diese Ziele definiert, stellt sich im zweiten Schritt die Frage: Ist der gewünschte Impact durch das politische Handeln überhaupt eingetreten? Führt beispielsweise mehr Geld für den Ausbau von Kitas tatsächlich dazu, dass nun mehr Eltern arbeiten? Wie kann ich das analysieren und messen? Ein in der Politik beliebter Indikator ist bisweilen einfach zu zählen, wie viele Punkte aus einem Parteiprogramm oder einem Koalitionsvertrag später tatsächlich politisch umgesetzt wurden. Aber selbst wenn alle Punkte eines Parteiprogramms oder eines Koalitionsvertrags umgesetzt wurden: Hat man dann die gewünschte Wirkung erzielt?

Ebenfalls gilt in der Politik oft das Motto „viel hilft viel“. So gilt etwa die Führungsetage eines Ministeriums als erfolgreich, wenn sie Jahr für Jahr mehr Haushaltsmittel für das Ministerium herausverhandeln kann. Bedeutet aber mehr Geld automatisch mehr Wirkung? Unter der sperrigen Abkürzung „zwoH“, der ziel- und wirkungsorientierten Haushaltsführung, verbirgt sich ein aktuelles, wichtiges Projekt der Bundesregierung. Sämtliche Ministerien sollen sich zukünftig einer dauerhaften und systematischen Erfolgs- und Wirkungskontrolle unterwerfen. Was für Unternehmen und Stiftungen bzw. ihre geförderten Projekte in vielen Fällen schon Standard ist, wäre für die Bundesregierung eine kleine Revolution. Dies würde vielleicht auch helfen, einem anderen Wirkungsproblem der Politik zu begegnen: Denn manchmal wird durch eine politische Maßnahme nicht bloß keine oder wenig Wirkung erzielt – manchmal tritt unbeabsichtigt eine gegenteilige, negative Wirkung ein. Ein bekanntes Beispiel hierfür liefert die vietnamesische Hauptstadt Hanoi. Um eine Rattenplage in der Stadt unter Kontrolle zu bekommen, legte die Politik ein Programm auf: Jede Person, die der Stadt eine tote Ratte ablieferte, erhielt einen Geldbetrag. Was geschah? Die Bevölkerung begann Ratten zu züchten. Schließlich waren sie inzwischen eine gute Einnahmequelle. Nachdem dies die Politik bemerkte und sie das Ratte-gegen-Geld-Programm stoppte, wurde die nicht mehr lukrative Rattenzucht eingestellt und die Käfige geöffnet. Das Ergebnis: Die Stadt hatte viel Geld gezahlt und die Rattenpopulation hatte sich vervielfacht.

Auch in der Lobbyarbeit, also der Politik im weiteren Sinne, spielen Wirkung und Wirkungsmessung eine immer größere Rolle. Ich kenne einige Beschäftigte in den Hauptstadtrepräsentanzen, also den Berliner Lobbybüros größerer Unternehmen, die vor den regelmäßigen Treffen mit den Unternehmensvorständen Schweißperlen auf der Stirn haben. Denn nicht immer gibt es für Lobby-Führungskräfte etwas politisch Dringendes zu tun – aber immer fragt sich der Vorstand, ob sich denn die Ausgaben für das Berliner Büro überhaupt lohnen. Gleiches gilt für Lobbverbände, die ihre kostspielige Existenz gegenüber Mitgliedern – häufig Unternehmen, die in Berlin selber eigene Lobbybüros haben – rechtfertigen müssen.

Ich selber habe u.a. einige Jahre als Lobbyist in Berlin und Brüssel für einen der größten deutschen Wirtschaftsverbände, den Bundesverband der Industrie (BDI), gearbeitet. Dort habe ich nach einigen Jahren gekündigt und welobby gegründet, um Lobbyarbeit für solche Gruppen zu machen, die keine Lobby haben und sich die Lobbyarbeit aus finanziellen Gründen auch nicht leisten können. Eine interessante Erfahrung für mich war übrigens: Ich konnte mit welobby mehr Wirkung erzielen als mit meiner Arbeit für den BDI. Nicht, weil die Politik stets mehr auf die Belange unterprivilegierter Gruppen hören würde als auf die Belange der Wirtschaft. Aber: Wenn ich als Lobbyist für den BDI gegenüber der Politik ein bestimmtes Interesse vertreten habe, dann gab es noch mindestens 20 weitere aus der Wirtschaft, die genau das gleiche wie ich geschrieben und gesagt haben. Manchmal habe ich mich da schon gefragt: War meine Arbeit überhaupt relevant? Hätte es nicht das gleiche politische Ergebnis gegeben, wenn ich selbst nichts gemacht hätte? Meine eigene Wirkung war eher gering. Anders hingegen meine Arbeit bei welobby. Hier konnten wir gleich mit unserem ersten Fall das Mietrecht für Menschen im Betreuten Wohnen an einer entscheidenden Stelle verbessern. Außer uns hat sich bei der Politik niemand dafür eingesetzt. Heute schaue ich mir das BGB, das Bürgerliche Gesetzbuch und einer der heiligsten juristischen Texte in Deutschland, an und denke mir manchmal: Cool, an diesem Gesetzestext haben mein Team und ich mitgeschrieben und etwas Positives bewirkt.

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©Steven Wolf

Prof. Dr. Jan Christian Sahl arbeitet seit mehr als 15 Jahren an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Nach Stationen u.a. im Deutschen Bundestag und beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Berlin und Brüssel gründete er die soziale Organisation welobby, die sich für Menschen ohne Lobby einsetzt. Er arbeitete zudem für die Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Monika Grütters und Claudia Roth, bevor er im Jahr 2022 auf eine Professur für Öffentliches Recht an der Hochschule des Bundes für Öffentliche Verwaltung in Berlin berufen wurde. Seine Erfahrungen in Politik und Lobbyismus teilt er regelmäßig in Workshops für soziale und kulturelle Organisationen.

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