Best of #12 "Aushalten!"

Kultur ist wichtig!… wissen die Antidemokrat:innen


In Zeiten, in denen sich die Gesellschaft mit fundamentalen Herausforderungen konfrontiert sieht – einem Krieg in Europa, einer alternden Bevölkerung, wirtschaftlicher Rezession, der Klimakrise, dem Erstarken autoritärer Kräfte – sind Kunst und Kultur wichtiger denn je: Ihre Freiheit, dass sie nicht gefallen, zusammenführen oder überhaupt irgendeinen Zweck erfüllen müssen, ermöglicht es ihnen, zu irritieren und zu provozieren und damit Menschen zur Reflexion über sich und ihre Umwelt anzuregen. Kultur hat die Möglichkeit, Geschichten zu erzählen, Bilder im Kopf aufzuwerfen, zu begeistern und zu emotionalisieren, gerade da, wo nackte Fakten an ihre Grenzen stoßen. Sie kann Begegnungsräume schaffen und Brücken bauen. Und sie vermag es, am potenziellen Desinteresse der Menschen vorbei, komplexe Themen und ganze Gesellschaftsbilder in Herz und Hirn zu transportieren – der Schriftsteller Ilija Trojanow spricht deshalb von der Kunst als „Schmuggelware“.

Allerdings scheint es, als ob radikalen Populist:innen die Bedeutung von Kunst und Kultur bewusster sei, als so manchen demokratischen Politiker:innen. Kulturarbeit, die sich für eine weltoffene, liberale Gesellschaft einsetzt, ist nicht erst, seitdem die AfD in Kulturausschüsse und Stadträte eingezogen ist, von Kürzungen bedroht und unterfinanziert. Die dadurch entstehende Fragilität der Kulturlandschaft nimmt die Politik bislang weitgehend in Kauf. Antidemokrat:innen haben die Kultur dagegen als wesentliches Feld ausgemacht, um Deutungshoheit im öffentlichen Diskurs zu erlangen. In Ungarn brachte Ministerpräsident Orbán neben den Gerichten und Medienhäusern zuerst die Kulturinstitutionen unter seine Kontrolle. In den USA ließ sich Trump erst an die Spitze des Kennedy Centers wählen und erließ dann eine Verordnung, die „spaltende Ideologien“ aus Museen verbannen soll. Und auch hierzulande tobt der rechtsradikale Kulturkampf: Die AfD fordert in ihrem Bundestagswahlprogramm „Deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus“ und setzt einige Kulturakteur:innen durch parlamentarische Anfragen und die Androhung von Mittelkürzungen unter Druck – ironischerweise, weil sie „politisiert“ und „ideologisch“ seien. Auch Fälle von rechtsextremen Drohungen, Diffamierungen, Vandalismus und Gewalt gegenüber Organisator:innen von Kulturveranstaltungen häufen sich.

Die verschiedenen Formen antidemokratischer Anfeindungen, denen Kulturschaffende ausgesetzt sind, untersuchten das Progressive Zentrum und die Kulturpolitische Gesellschaft im Projekt „The Art of Democracy“. In Workshops und einer Großkonferenz brachten sie Kulturakteur:innen und Menschen aus Politik und Verwaltung zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und Empfehlungen für den Umgang mit antidemokratischen Kulturkampfstrategien zu erarbeiten. Vieles setzen Hans Narva, Hanna Viehöfer-Jürgens und Sven Kaseler bereits um. Weil in vielen ländlichen Regionen eine kleine – und kleiner werdende – Zahl von Engagierten starken rechtsextremen Netzwerken gegenübersteht, wird empfohlen, sich in lokalen und überregionalen Allianzen zu organisieren. Solche Strukturen können Kulturschaffenden helfen, sich nicht allein zu fühlen. In ihnen können sie sich über rechtsradikale Strategien austauschen und ihr eigenes Selbstverständnis für die kulturelle Arbeit an der offenen Gesellschaft schärfen. Vor allem aber können sie sich gegenseitig unterstützen, etwa mit Fortbildungen zu Themen wie Projektplanung und Finanzierung, zum Umgang mit Störungen – und zum sogenannten Neutralitätsgebot.

Denn die bewusst falsche Auslegung und Instrumen- talisierung des Neutralitätsbegriffs ist eine effektive Strategie rechtsextremer Akteur:innen, um die Kunstfreiheit einzuschränken. Ihr Argument: Positionen, die von ihren abweichen, seien nicht „neutral“ und dürften deshalb nicht vom Staat gefördert werden. Dass Hans Narva beim Liken eines Instagram-Posts überlegt, ob das die Förderung des Festivals beeinflussen könnte, zeigt: Hier wurde erfolgreich Unsicherheit erzeugt. Dabei ist die Lage laut Verfassungsrechtler Friedhelm Hufen eindeutig: (Kulturelle) Demokratiearbeit müsse und könne nicht „neutral“ sein, sei sie doch auf die Werte und Ziele der Verfassung gerichtet. Sie sei Ausdruck der streitbaren Demokratie und verpflichtende Staatsaufgabe.* So könnte man auch sagen:

Politische Neutralität bedeutet nicht ideelle Wertelosigkeit. Die Offenheit des demokratischen Willensbildungsprozesses und die Chancengleichheit der Parteien dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Eine weitere Empfehlung von „The Art of Democracy“ ist, Kulturveranstaltungen so zu gestalten, dass sie einer rechtsradikalen Diskursverschiebung etwas entgegensetzen. Dafür können die eingangs erwähnten Möglichkeiten von Kultur genutzt werden. Doch hilft es nicht, wenn die Veranstaltungen nur einen harten Kern erreichen. Wichtig sind deshalb niedrigschwellige Angebote, die viele verschiedene Menschen ansprechen – etwa, wie im Interview beschrieben, durch Begegnung auf Augenhöhe und ungewöhnliche Formate. Schließlich sollten Organisator:innen von Kulturveranstaltungen Vorkehrungen gegen physische und symbolische Angriffe treffen, um im Ernstfall Ruhe bewahren zu können. Dazu gehören beispielsweise die Entwicklung eines Code of Conduct und einer Netiquette für Social Media, die Überarbeitung der Hausordnung, die Einrichtung eines Awareness-Teams sowie Gesprächsräume für Befürchtungen im Team zu schaffen. Kommt es zu Vorfällen, sollten diese angezeigt und dokumentiert, Netzwerke und Beratungsstellen aktiviert, und gegebenenfalls die Presse kontaktiert werden. Sven Kaseler spricht im Interview zutreffend von einem „Verteidigungskampf“, in dem sich viele Kulturschaffende im Moment befinden. Schon die Bewahrung des Erreichten fordert ihnen viel ab. Die demokratischen Parteien sollten sie mit allen Kräften unterstützen – indem sie Kultur als Staatsziel m Grundgesetz verankern, die kulturelle Infrastruktur finanziell und rechtlich stärken und die Arbeitsbedingungen für Kulturschaffende verbessern. Sie müssen jetzt zeigen, dass nicht nur die Antidemokrat:innen
verstanden haben, wie wichtig Kultur ist.

* Hufen, F. (2024): Rechtsgutachten zur Bedeutung des sog. Neutralitätsgebots für zivilgesellschaftliche Vereine der Demokratie- und Jugendarbeit, https://kulturbuero-sachsen.de/rechtsgutachten-zum-sogenannten-neutralitaetsgebot/ (letzter Zugriff am 22.04.2025).

Carl Schüppel ist Junior Projektmanager im
Bereich „Resiliente Demokratie“ des Berliner
Thinktanks das Progressive Zentrum.
Er fokussiert sich auf Demokratiepolitik,
Kultur und strukturschwache Regionen und
ist Mitorganisator der Demokratiekonferenz
„Innocracy“. Zuvor war er Forschungsreferent
beim Ombudsgremium für wissenschaftliche
Integrität in Deutschland und Schuman-Trainee im
Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments.
Sein Studium der Rechtswissenschaft, Geschichte
und Politik absolvierte er in Berlin, Potsdam,
Granada, Prag, Leiden und Barcelona.

Beiträge